Über die Kunst des Handelns…
In großen Teilen Asiens, Afrikas, des Nahen Ostens und Südamerikas gilt das Feilschen für so natürlich wie der Sonnenaufgang. Selbst in Europa lässt sich über die Preise reden, sobald man sich dem Mittelmeer nähert, diesem Meer des Handels und der Händler, an dessen Küsten man noch immer den Einfluss der großen levantinischen Handelsvölker spürt: der Griechen, Juden, Armenier, Phönizier.
Wer in diese andere Hälfte der Welt kommt; muss sich eines klarmachen, oder er wird immer ein hoffnungsloser Laie bleiben: Das Handeln ist ungleich mehr als nur eine Art, Geschäfte abzuschließen. Es ist ein Spiel, ein Sport, eine Kunst. Und schon im Kindesalter fängt man damit an. Ein amerikanischer Lehrer in Kairo hat mir erzählt, seine Schüler suchten sogar um ihre Zensuren mit ihm zu feilschen. „Ich gebe Abdullah eine Drei. Er kommt zu mir und sagt, er habe mindestens eine Eins verdient, aber vielleicht könnten wir uns auf einen hübschen, runden Zweier einigen. Ich wiederhole, es sei eine Drei. Er denkt sich ein Dutzend Gründe aus, warum ich ein Geschäft mit ihm. machen müsse — weil sein Vater sonst böse mit ihm wird, weil ich in Verdacht kommen kann, antiarabisch eingestellt zu sein, und so fort. Es fällt ihm kolossal schwer, zu begreifen, dass ich, wenn ich Drei sage, auch Drei meine. Schmollend zottelt er ab und ruft mir im Hinausgehen zu, ich sei ein Imperialist.”
Meine ersten Erfahrungen mit dem Handeln gehen auf das Jahr 1979 zurück. Es war in Damaskus. Ich wollte in einem Laden im Basar einen Orientteppich erstehen, und als der Händler einen Phantasiepreis forderte, verließ ich stolz und entrüstet das Lokal. Ein paar Minuten später sprach mich ein alter Franzose an. „Ich habe Sie beobachtet, Monsieur”, sagte er. „Entschuldigen Sie bitte, wenn ich Ihnen sage, dass Sie es falsch anfangen.” Worauf er mich in ein Cafe führte und mir einen der nutzbringendsten Vorträge hielt, die ich je habe über mich ergehen lassen.
Er ging davon aus, dass man gerade in den Ländern, in denen das Feilschen üblich sei, besonderen Wert auf die hergebrachten Formen der Höflichkeit lege. Durch meine Schroffheit, Direktheit und Aggressivität hätte ich gegen diese Formen verstoßen. Dann setzte er mir die drei goldenen Regeln des Handelns auseinander und legte mir ans Herz, sie gleich in einem andern Laden zu erproben.
Ich trat allein ein, nahm einen einfachen Orientteppich, der vielleicht zwei Dollar wert war, in die Hand und ‘starrte ihn bewundernd an. „Eine prächtige Arbeit”, sagte ich. „Eine der schönsten, die ich je gesehen habe.”
Regel eins: Loben Sie immer die Ware. Der Händler wird Ihnen Ihre Höflichkeit zu danken wissen. Glaubt er, es sei Ihnen ernst damit und Sie seien so dumm, die Ware über zu bewerten, umso besser. Beim Handeln kann es geradeso wie im Krieg verhängnisvoll sein, den Gegner zu unterschätzen.
Dann fragte ich: „Wie viel?”
Er war eitel Höflichkeit. „Für Sie ein Ausnahmepreis. Nur zehn Dollar.”
Ich nickte anerkennend. „Ein angemessener Preis für so ein schönes Stück.”
Regel zwei: Auch wenn der geforderte Preis lächerlich hoch ist, müssen Sie so tun, als hielten Sie ihr für angemessen.
Nun der dritte Schritt. „Ich würde ihn auf der Stelle kaufen”, sagte ich nachdenklich mit einem tiefen Seufzer, „wenn ich bloß — ja, wenn ich bloß das Geld übrig hätte.”
„Bitte?” erwiderte er, als hätte er nicht recht gehört.
Ich seufzte wieder. „Sehen Sie, ich reise heute Abend ab. Meine Hotelrechnung habe ich schon bezahlt; ich kann keine Reiseschecks mehr einlösen und habe nur noch zwei oder drei Dollar in der Tasche.”
Regel drei: Erfinden Sie einen Grund, warum Sie unmöglich über einen bestimmten Betrag hinausgehen können.
Ich drehte den Orientteppich in einem fort hin und her. „Eine wundervolle Arbeit!” sagte ich. „Wenn ich bloß …”
Der Händler fixierte mich einen Augenblick. „Mein lieber Herr”, sagte er. „Lassen Sie mich Ihnen einen ganz speziellen Preis machen — nur sieben Dollar.”
„Aber nicht doch!” protestierte ich. „Es ist riesig nett von Ihnen, aber ich fürchte, Sie haben mich missverstanden. Ich würde die zehn Dollar mit Freuden bezahlen, wenn …”
„Hören Sie zu!” unterbrach er mich. „Lassen Sie uns fünf Dollar sagen. Das ist weniger, als ich selbst bezahlt habe, aber ich möchte, dass Sie den Orientteppich bekommen.”
So ging es weiter und weiter. Zuletzt nötigte er mir den Orientteppich förmlich auf — für null Komma nichts. Als ich ging, blickte er wie ein Triumphator, hatte er mich doch endlich dazu gebracht, das Ding zu nehmen. So gut ist es mir nie wieder ausgegangen und wird es mir wohl auch nie wieder ausgehen. Dennoch habe. ich durch Befolgen der Regeln des alten Franzosen im Lauf der Jahre eine Menge Geld gespart und viel Spaß gehabt.
Die dritte Regel ist bei weitem die schwerste. Es ist nicht einfach, einen plausiblen Grund zu finden, dass ein Tourist, der sich eine Reise um die halbe Welt leisten kann, außerstande sein soll, ein paar lumpige Kröten in bar auf den Tisch zu legen. Frauen können natürlich immer behaupten: „Mein Mann hat mir gesagt, ich dürfe nur soundso viel ausgeben.”
Der aus gemäßigten Breiten kommende Tourist ist den Dutzenden von Waffen im Arsenal eines gewiegten
Händlers fast schutzlos preisgegeben. Oft fehlt ihm jede Kenntnis der Landessprache, er hat keinerlei Anhaltspunkte, wie die ortsüblichen Preise sind, und die fremde Währung verwirrt ihn. Vielleicht lässt er sich auch von der blumigen Höflichkeit und Liebenswürdigkeit beeinflussen, die besonders orientalische Händler mit erstaunlichem Erfolg einzusetzen wissen. Eine uralte Kriegslist besteht darin, dass der Händler es sich nicht nehmen lässt, seinem Kunden Kaffee, Tee oder heutzutage vielfach ein Colagetränk zu spendieren. Es ist fast unmöglich, abzulehnen — ehe man sich’s versieht, steht die fingerhutgroße Tasse Kaffee vor einem, und sobald man angenommen hat, erscheint es einem schäbig, noch um Preise zu feilschen.
Der phantastisch überhöhte „Nennpreis” ist eine der Methoden. In München, wo ich zurzeit lebe, besuche ich Sonntagvormittags oft einen ebenso lauten wie faszinierenden „Flohmarkt”. Einmal entdeckte ich dort eine Lederhose, die mir gefiel; entzückt, dass es mir gelang, sie von 150 Euro auf ganze 80 Euro herunterzuhandeln, kaufte ich sie. Ein paar Tage später sah ich genau die gleiche Lederhose in einem Versandhaus; sie kostete, nagelneu, 100 Euro. Moral: Es ist immer gut, etwas über den Wert einer Ware zu wissen.
Und hüten Sie sich, hüten Sie sich, wirklich wertvolle Dinge wie Manschettenknöpfe aus Gold oder Orientteppiche aus Persien zu kaufen, wenn Sie kein ausgesprochener Kenner sind. In Indien und Ceylon erstehen Touristen oft Steine, die sie für echte Topase halten; in neun von zehn Fällen ist es hitzebehandelter Rauchquarz — ein schöner Stein, aber längst nicht so wertvoll wie echter Topas.
Im Orient spielt das „Gesicht”, das man zu wahren hat, beim Handeln eine große Rolle. Sie können sich das zunutze machen. Angenommen, Sie haben keine Einigung über den Preis eines Armbandes erzielt. Sie könnten sagen: „Ich sehe, dies hier ist zu gut für mich. Haben Sie nicht etwas Ähnliches, aber nicht so teuer?” Der Händler wird mit einem andern Armband zurückkommen. Es ist haargenau das gleiche, aber er versichert Ihnen, es sei ein billigeres Fabrikat. Sie wissen, dass es das gleiche ist, und er weiß, dass Sie das wissen, aber auf Grund dieser freundlichen Fiktion können Sie mit dem Handeln in einem niedrigeren Preisbereich von vorn beginnen.
Wichtig zu wissen ist, wo man handeln darf. Wollten Sie es in München oder London, ja selbst in Kairo oder Beirut in einem großen Warenhaus versuchen, Sie würden nur erstaunte Blicke ernten. Ebenso würden Sie nicht einmal in Libanon den geringsten Erfolg haben, wenn Sie Benzin, Zigaretten oder andere wirklich preisgebundene Artikel herunterzuhandeln versuchten.
Wer in diese andere Hälfte der Welt kommt; muss sich eines klarmachen, oder er wird immer ein hoffnungsloser Laie bleiben: Das Handeln ist ungleich mehr als nur eine Art, Geschäfte abzuschließen. Es ist ein Spiel, ein Sport, eine Kunst. Und schon im Kindesalter fängt man damit an. Ein amerikanischer Lehrer in Kairo hat mir erzählt, seine Schüler suchten sogar um ihre Zensuren mit ihm zu feilschen. „Ich gebe Abdullah eine Drei. Er kommt zu mir und sagt, er habe mindestens eine Eins verdient, aber vielleicht könnten wir uns auf einen hübschen, runden Zweier einigen. Ich wiederhole, es sei eine Drei. Er denkt sich ein Dutzend Gründe aus, warum ich ein Geschäft mit ihm. machen müsse — weil sein Vater sonst böse mit ihm wird, weil ich in Verdacht kommen kann, antiarabisch eingestellt zu sein, und so fort. Es fällt ihm kolossal schwer, zu begreifen, dass ich, wenn ich Drei sage, auch Drei meine. Schmollend zottelt er ab und ruft mir im Hinausgehen zu, ich sei ein Imperialist.”
Meine ersten Erfahrungen mit dem Handeln gehen auf das Jahr 1979 zurück. Es war in Damaskus. Ich wollte in einem Laden im Basar einen Orientteppich erstehen, und als der Händler einen Phantasiepreis forderte, verließ ich stolz und entrüstet das Lokal. Ein paar Minuten später sprach mich ein alter Franzose an. „Ich habe Sie beobachtet, Monsieur”, sagte er. „Entschuldigen Sie bitte, wenn ich Ihnen sage, dass Sie es falsch anfangen.” Worauf er mich in ein Cafe führte und mir einen der nutzbringendsten Vorträge hielt, die ich je habe über mich ergehen lassen.
Er ging davon aus, dass man gerade in den Ländern, in denen das Feilschen üblich sei, besonderen Wert auf die hergebrachten Formen der Höflichkeit lege. Durch meine Schroffheit, Direktheit und Aggressivität hätte ich gegen diese Formen verstoßen. Dann setzte er mir die drei goldenen Regeln des Handelns auseinander und legte mir ans Herz, sie gleich in einem andern Laden zu erproben.
Ich trat allein ein, nahm einen einfachen Orientteppich, der vielleicht zwei Dollar wert war, in die Hand und ‘starrte ihn bewundernd an. „Eine prächtige Arbeit”, sagte ich. „Eine der schönsten, die ich je gesehen habe.”
Regel eins: Loben Sie immer die Ware. Der Händler wird Ihnen Ihre Höflichkeit zu danken wissen. Glaubt er, es sei Ihnen ernst damit und Sie seien so dumm, die Ware über zu bewerten, umso besser. Beim Handeln kann es geradeso wie im Krieg verhängnisvoll sein, den Gegner zu unterschätzen.
Dann fragte ich: „Wie viel?”
Er war eitel Höflichkeit. „Für Sie ein Ausnahmepreis. Nur zehn Dollar.”
Ich nickte anerkennend. „Ein angemessener Preis für so ein schönes Stück.”
Regel zwei: Auch wenn der geforderte Preis lächerlich hoch ist, müssen Sie so tun, als hielten Sie ihr für angemessen.
Nun der dritte Schritt. „Ich würde ihn auf der Stelle kaufen”, sagte ich nachdenklich mit einem tiefen Seufzer, „wenn ich bloß — ja, wenn ich bloß das Geld übrig hätte.”
„Bitte?” erwiderte er, als hätte er nicht recht gehört.
Ich seufzte wieder. „Sehen Sie, ich reise heute Abend ab. Meine Hotelrechnung habe ich schon bezahlt; ich kann keine Reiseschecks mehr einlösen und habe nur noch zwei oder drei Dollar in der Tasche.”
Regel drei: Erfinden Sie einen Grund, warum Sie unmöglich über einen bestimmten Betrag hinausgehen können.
Ich drehte den Orientteppich in einem fort hin und her. „Eine wundervolle Arbeit!” sagte ich. „Wenn ich bloß …”
Der Händler fixierte mich einen Augenblick. „Mein lieber Herr”, sagte er. „Lassen Sie mich Ihnen einen ganz speziellen Preis machen — nur sieben Dollar.”
„Aber nicht doch!” protestierte ich. „Es ist riesig nett von Ihnen, aber ich fürchte, Sie haben mich missverstanden. Ich würde die zehn Dollar mit Freuden bezahlen, wenn …”
„Hören Sie zu!” unterbrach er mich. „Lassen Sie uns fünf Dollar sagen. Das ist weniger, als ich selbst bezahlt habe, aber ich möchte, dass Sie den Orientteppich bekommen.”
So ging es weiter und weiter. Zuletzt nötigte er mir den Orientteppich förmlich auf — für null Komma nichts. Als ich ging, blickte er wie ein Triumphator, hatte er mich doch endlich dazu gebracht, das Ding zu nehmen. So gut ist es mir nie wieder ausgegangen und wird es mir wohl auch nie wieder ausgehen. Dennoch habe. ich durch Befolgen der Regeln des alten Franzosen im Lauf der Jahre eine Menge Geld gespart und viel Spaß gehabt.
Die dritte Regel ist bei weitem die schwerste. Es ist nicht einfach, einen plausiblen Grund zu finden, dass ein Tourist, der sich eine Reise um die halbe Welt leisten kann, außerstande sein soll, ein paar lumpige Kröten in bar auf den Tisch zu legen. Frauen können natürlich immer behaupten: „Mein Mann hat mir gesagt, ich dürfe nur soundso viel ausgeben.”
Der aus gemäßigten Breiten kommende Tourist ist den Dutzenden von Waffen im Arsenal eines gewiegten
Händlers fast schutzlos preisgegeben. Oft fehlt ihm jede Kenntnis der Landessprache, er hat keinerlei Anhaltspunkte, wie die ortsüblichen Preise sind, und die fremde Währung verwirrt ihn. Vielleicht lässt er sich auch von der blumigen Höflichkeit und Liebenswürdigkeit beeinflussen, die besonders orientalische Händler mit erstaunlichem Erfolg einzusetzen wissen. Eine uralte Kriegslist besteht darin, dass der Händler es sich nicht nehmen lässt, seinem Kunden Kaffee, Tee oder heutzutage vielfach ein Colagetränk zu spendieren. Es ist fast unmöglich, abzulehnen — ehe man sich’s versieht, steht die fingerhutgroße Tasse Kaffee vor einem, und sobald man angenommen hat, erscheint es einem schäbig, noch um Preise zu feilschen.
Der phantastisch überhöhte „Nennpreis” ist eine der Methoden. In München, wo ich zurzeit lebe, besuche ich Sonntagvormittags oft einen ebenso lauten wie faszinierenden „Flohmarkt”. Einmal entdeckte ich dort eine Lederhose, die mir gefiel; entzückt, dass es mir gelang, sie von 150 Euro auf ganze 80 Euro herunterzuhandeln, kaufte ich sie. Ein paar Tage später sah ich genau die gleiche Lederhose in einem Versandhaus; sie kostete, nagelneu, 100 Euro. Moral: Es ist immer gut, etwas über den Wert einer Ware zu wissen.
Und hüten Sie sich, hüten Sie sich, wirklich wertvolle Dinge wie Manschettenknöpfe aus Gold oder Orientteppiche aus Persien zu kaufen, wenn Sie kein ausgesprochener Kenner sind. In Indien und Ceylon erstehen Touristen oft Steine, die sie für echte Topase halten; in neun von zehn Fällen ist es hitzebehandelter Rauchquarz — ein schöner Stein, aber längst nicht so wertvoll wie echter Topas.
Im Orient spielt das „Gesicht”, das man zu wahren hat, beim Handeln eine große Rolle. Sie können sich das zunutze machen. Angenommen, Sie haben keine Einigung über den Preis eines Armbandes erzielt. Sie könnten sagen: „Ich sehe, dies hier ist zu gut für mich. Haben Sie nicht etwas Ähnliches, aber nicht so teuer?” Der Händler wird mit einem andern Armband zurückkommen. Es ist haargenau das gleiche, aber er versichert Ihnen, es sei ein billigeres Fabrikat. Sie wissen, dass es das gleiche ist, und er weiß, dass Sie das wissen, aber auf Grund dieser freundlichen Fiktion können Sie mit dem Handeln in einem niedrigeren Preisbereich von vorn beginnen.
Wichtig zu wissen ist, wo man handeln darf. Wollten Sie es in München oder London, ja selbst in Kairo oder Beirut in einem großen Warenhaus versuchen, Sie würden nur erstaunte Blicke ernten. Ebenso würden Sie nicht einmal in Libanon den geringsten Erfolg haben, wenn Sie Benzin, Zigaretten oder andere wirklich preisgebundene Artikel herunterzuhandeln versuchten.
mauris - 5. Jan, 10:50